In einer Familie sorgen die Eltern für ihre Kinder. Sie bereiten (vielleicht gemeinsam mit ihnen) das Essen vor, helfen ihnen bei den Hausaufgaben, spielen mit ihnen und geben den Kindern Wärme, Geborgenheit, Förderung und Freiräume, um sich ganzheitlich und alters-gerecht gut entwickeln zu können. Eltern schenken den Kindern das Gefühl der Sicherheit.
Dabei ist es auch wichtig, dass Kinder lernen, auch selbst kleinere Aufgaben zu übernehmen, die das Familienleben unterstützen und ihrem Alter entsprechen. Z.B. den Tisch mit zu de-cken, den Müll rauszubringen oder auch mal den Geschirrspüler auszuräumen. Das ist gut und in Ordnung, solange diese kleineren Tätigkeiten für die Kinder überschaubar und leist-bar bleiben und ihnen noch genügend Zeit für ihren eigenen Bedürfnisse und Entwicklung lassen. Die Hauptverantwortung der Fürsorge für Kinder und Familie sollte bei den Eltern liegen.
Doch was passiert, wenn dieses Familiengefüge aus der Balance gerät? Wenn z.B. Eltern durch eine eigene physische oder psychische Erkrankung dieser Verantwortung nicht oder nicht mehr allein nachkommen können? Wenn es z.B. behinderte Geschwisterkinder oder andere Familienmitglieder gibt, die einer Pflege und erhöhten Aufmerksamkeit erfordern?
Dann droht das Verhältnis der Verteilung von Verantwortlichkeiten plötzlich zu kippen. Dann werden oft schon Kinder im jüngeren Alter in die Familienrolle gedrängt, Aufgaben zu über-nehmen, die sie überfordern.
In einer aktuellen Studie der Uni Witten Herdecke (2018) wurden insgesamt 6.313 Schü-ler*innen in 44 Schulen NRW´s befragt. Das Alter lag zwischen 10 und 22 Jahren. Die Befra-gung zeigte, dass 6,1% der Befragten Pflegeverantwortung übernehmen, davon 64% Mäd-chen. Vergleicht man das Ergebnis mit den aktuellen Bevölkerungszahlen (Stichtag 31.12.2016) sind in Deutschland mittlerweile 478.915 der 10-19 Jährigen von der Thematik betroffen.
Als pflegendes Kind oder pflegender Jugendliche (Young carer) wurden die Teilneh-mer*innen der Studie eingeordnet, die auf jeden Fall bei der Medikamenteneinnahme und dem Übernehmen von Haushaltstätigkeiten unterstützen und darüber hinaus auch beim An-kleiden, der Ernährung oder Intimpflege unterstützte. Die aktuellen Ergebnisse machen deutlich, dass die Gruppe der betroffenen Kinder und Jugendlichen wesentlich größer ist, als bisher angenommen. Es ist wichtig, dass für die Betroffenen Hilfs- und Unterstützungsange-boten zur Verfügung stehen und sie ermutigt werden, eine „Pausentaste“ zu drücken und sich Hilfe zu holen. Aus diesem Gedanken heraus entstand das Projekt „Pausentaste“, wel-ches Anfang 2018 startete und durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend (BMFSFJ) initiiert wurde. Die „Nummer gegen Kummer“ übernimmt dabei die Auf-gabe, Kindern und Jugendlichen mit Pflegeverantwortung eine niedrigschwellige Anlaufstelle zu bieten, um über ihre besondere Situation zu sprechen, sich darüber zu entlasten oder auch Informationen zu weiterführenden Hilfen einzuholen.
Oft ist es für die „pflegenden Kinder“ ein schleichender Prozess der Überforderung. Sie erle-ben ihre Eltern in einer längerfristigen oder dauerhaften Ausnahmesituation, die das Fami-lienleben belastet.
Auch mein Bruder wurde mit 4,5 Jahren in diese Rolle gedrängt. Bei meiner Geburt sagte ihm mein Vater: „Deine Schwester ist behindert und kann Vieles nicht so wie Du machen. Du musst jetzt auf sie aufpassen.“ Und das tat und tut er auch noch bis heute. Dieser eine kleine Satz hatte wohl gereicht, um seine Kindheit in ihrer so wichtigen Unbefangenheit sehr früh-zeitig zu beenden.
„Pflegende Kinder“ werden auch „Schattenkinder“ genannt. Weil sie im Schatten der Famili-enmitglieder leben, die vielleicht körperlich oder psychisch mehr Hilfe und Unterstützung brauchen.
„Pflegende Kinder“ lernen, „zu funktionieren“ oder auch z.B. vielleicht mit unbegründeten Schuldgefühlen umzugehen, weil es ihnen ja scheinbar besser geht.
Doch dafür zahlen sie einen (zu) hohen Preis. Weil sie damit daran gehindert werden, zu erfahren und zu üben, sich selbst in ihren eigenen Bedürfnissen und Belastungsgrenzen wahrzunehmen und diese auch zuzulassen, einzuhalten und nach außen zu zeigen.
Die Folgen dieser eigenen Verdrängungen reichen nicht selten bis ins Erwachsenalter hinein und können sich z.B. in Form von Essstörungen, Depressionen, Zwangs- oder Angststörungen oder auch des Helfersyndroms manifestieren.
Deshalb ist es wichtig, schon sehr frühzeitig auf besondere Situationen von Familien und auch auf Veränderungen im Verhalten eines Kindes zu achten. Sich verschlechternde Noten, vermehrte Rückzugsbedürftigkeit, Müdigkeit oder auch Aggression können erste Warnsigna-le für die körperliche, geistige oder seelische Überforderung eines Kindes sein, die es sehr ernst zu nehmen gilt.
Wenn der „geschützte Familienraum“ für Kinder nicht mehr im für sie ausreichendem Maße vorhanden ist, dann ist es umso wichtiger, ihnen eine „neutrale Ebene“ zu geben, ihre Prob-leme mitteilen zu können.
Der Kinderschutzbund Zwickau bietet dafür eine gute Anlaufstelle.
Mit dem KINDER- und JUGENDTELEFON (Tel.: 116 111) haben „pflegende Kinder“ und auch alle anderen Kinder die Chance, ihre Sorgen und Probleme anonym und wertfrei (mit-)teilen und erste beratende Hilfe und Unterstützung erhalten zu können.
Die Telefonberater des Kinder- und Jugendtelefons werden in einer 5monatigen Schulung auf diese ehrenamtliche Arbeit vorbereitet und dafür sensibilisiert. Sie sind für die Kinder- und Jugendlichen da und geben ihnen, zuhörend, am Telefon Zeit und achtsam zugewandte Aufmerksamkeit, um sich innerlich öffnen zu können.
Kinder und Jugendliche sind unsere Zukunft.
Der Kinderschutzbund Zwickau möchte auch weiterhin für diese gute Zukunft der Kinder und Jugendlichen tätig sein.
Wir freuen uns auch über Menschen, die sich für eine ehrenamtliche Mitarbeit als Telefon-berater interessieren.
Unser Kinder- und Jugendtelefon ist erreichbar unter der bundesweiten Telefonnummer: 116 111
Für Eltern die Fragen zu diesem Thema haben steht das Elterntelefon mit der Rufnummer 0800 111 0550 anonym und kostenfrei zur Verfügung.
K.L.